Formenlehre: Tutorial 6 – Barock: Geistliche und weltliche Vokalmusik
Oper, Oratorium, Kantate, Rezitativ und Arie, Reihungsformen; vierstimmiger Satz – PDF
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Vokalgattungen des Barock
Monodie – neuartiges satztechnisches Konzept ab etwa 1600 | prima prattica | seconda prattica | |
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Vokales Konzertieren: solistische Singstimme(n) mit Generalbass-Begleitung | streng polyphon | frei, affektbetont | |
stile recitativo: vom Text geprägte Gesangslinie, deklamierend oder arienhaft | motettischer Stil mit Imitation | solistisch konzertierend |
Hörbeispiel – Giulio Caccini: Le nuove musiche (1602), Amarilli mia bella
Hörbeispiel – Claudio Monteverdi: L'Arianna (1608), Lamento Lasciatemi morire
Barocke Oper
Als szenische Ausdrucksform der Monodie begründet durch die Florentiner Camerata: Vincenzo Galilei, Giulio Caccini, Iacopo Peri etc.
Libretti: Stoffe der griechischen Antike sind vorherrschend (etwa der Orpheus-Mythos oder die Odyssee); Librettisten: Ottavio Rinuccini, Alessandro Striggio
Italienischer Stil (Venedig ab Anfang des 17. Jahrhunderts, Neapel ab Mitte des 17. Jahrhunderts) und französischer Stil (Paris ab Mitte des 17. Jahrhunderts) konkurrieren
Subgattungen: opera seria / dramma per musica bzw. tragédie lyrique: ernste Libretti; opera buffa bzw. opéra comique; semi-opera: humorvolle Libretti
Wendepunkt im 18. Jahrhundert: Glucks Reformoper; weiter (ab dem 19. Jahrhundert): romantische Oper, grand opéra, Musikdrama, Operette, Musical
Oratorium | Oratorische Passion | Kantate bzw. Vokalconcerto |
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Geistlich-konzertantes Gegenstück zur Oper | Gegenstand: die Leiden Christi | Mehrteilig, geistlich oder weltlich |
Text: Bibelverse oder poetische Neudichtung | Vertonung eines Evangelientexts | Besetzung: Solisten, (Chor,) Instrumente |
Besetzung: Chor, Solisten, Instrumente | (evtl. durch Neudichtungen ergänzt) | Subtypen: Choralkantate / Psalmkantate |
Nummern in Opern und Oratorien
Satztypen | Merkmale | |
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1 | Rezitativ | Ausführung als secco (nur mit Generalbass) oder accompagnato (mit obligaten Instrumenten); Rhythmik: metrisch gebunden notiert, aber frei ausgeführt; Harmonik: bewegt, modulationsreich; viel Text (im Oratorium: Evangelium oder andere Bibelpassagen), Handlung wird vorangetrieben |
2 | Arie, Duett, Terzett | Ritornellform oder Liedform, klare Struktur; typisch: Da-capo-Arie mit Reprise; wenig Text mit meist vielen Wiederholungen, meist Neudichtungen zeitgenössischer Librettisten; Minimalbesetzung: solistische Singstimme(n) mit Generalbass, oft auch obligate Instrumente |
3 | Arioso | Liedhaftes Vokalsolo, stilistisch und formal zwischen Rezitativ und Arie angesiedelt |
4 | Choral | In Oratorien und Kantaten: vierstimmiger Satz eines (protestantischen) Kirchenliedes; Grundlage: Texte und Melodien meist aus Frühbarock oder Renaissance, seltener Neudichtungen; auch hybride Satztypen möglich: zB in Arien / Chöre eingeflochten, Choralvariationen mit cantus firmus |
5 | Chor | Freier mehrstimmiger Chorsatz, kein Choral; turba-Chöre (bei Bach) werden in die Handlung eingebunden |
6 | Instrumentalstücke | Einleitende Sätze oder Orchesterzwischenspiele: Sinfonia, Intrada, Pastorale, Ouvertüre etc. |
Ritornell a – Episode b – Ritornell a' – Episode c – Ritornell a
Solo 1 – Tutti – Solo 2
Ritornell a – Episode b – Ritornell a' – Episode c – Ritornell a
Barocke Reihungsformen
Da-capo-Arie und Ritornellform
Typisches Formprinzip für schnelle Concerto-Sätze, Arien (aus Opern, Oratorien oder Kantaten) oder Rondeaus in Suiten
Dreiteilige Großform mit Reprise (da capo): A – B – A, Mittelteil meist in der Tonart der vi. / III. Stufe; Reprisenteil kann frei verziert werden
A-Teil meist in Ritornellform; unterschiedliche Längen möglich: a – b – a | a – b – a' – c – a | a – b – a' – c – a'' – d – a (etc.)
Formbildender Besetzungskontrast der Ritornellform:
– Anfangsritornell (a): im tutti gesetzt; als Eröffnungsthema häufig im Sinne eines Fortspinnungstypus gestaltet
– Binnenritornelle (a', a''): müssen nicht in der Grundtonart stehen, können gegenüber dem Anfangsritornell verkürzt sein
– Episoden (b, c, d): keine volle Besetzung, sondern konzertierende Soli mit Generalbass; Ausweichen in Nachbartonarten
Strophische Anlage
Häufige Gestaltung von Kirchenliedern (Chorälen) und weltlichen Generalbassliedern (Lautenlieder, Oden, Arietten)
Viele Textstrophen zu einer mehrfach wiederholten Melodie; zeilenweise Vertonung: jedes Reimwort fällt auf eine Kadenz
Vierstimmiger Satz
Kantionalsatz – ab Ende des 16. / Beginn des 17. Jh.
Schlichter homophoner Akkordsatz zu einem protestantischen Kirchenlied, cantus firmus im Sopran oder Tenor
Harmonik: modal, Akkordrepertoire: Grundstellungen und Sextakkorde, gelegentlich Quintsextakkorde; Quartvorhalte
Form: zeilenweise durch Grund- oder Tenorkadenzen strukturiert, Metrik: frei deklamierend (wie Liedsätze der Renaissance)
Choralsatz – ab Beginn des 18. Jh., prominent im Schaffen Bachs
Homophoner, aber figurierter und mit polyphonen Elementen versehener Satz eines Kirchenlieds, cantus firmus im Sopran
Harmonik: dur-moll-tonal, Akkordrepertoire: Dreiklänge (Grundstellungen, Sextakkorde), Septakkorde (Terzquartakkorde selten)
Form: zeilenweise durch Ganzschlüsse, Halbschlüsse oder Trugschlüsse strukturiert, Metrik: Akzentstufentakt, häufig 4/4-Takt
AUFGABEN
(1) Machen Sie sich den Unterschied zwischen prima prattica und seconda prattica sowie die Merkmale einer Monodie bewusst und hören Sie die Beispiele.
(2) Untersuchen und gliedern Sie das Rezitativ Du lieber Heiland du und die Da-capo-Arie Buß und Reu aus Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion BWV 244.
(3) Untersuchen Sie den Beginn des Kleinen Geistlichen Konzerts O lieber Herre Gott op. 8 Nr. 6 von Heinrich Schütz und gliedern Sie die Passage als Fortspinnungstypus.
(4) Untersuchen und gliedern Sie die Da-capo-Arie Lascia, ch'io pianga aus Georg Friedrich Händels Oper Rinaldo HWV 7a.
(5) Vergleichen Sie Satzweise und harmonische Ausgestaltung von zwei Sätzen der Melodie Auf meinen lieben Gott von Crüger (Kantionalsatz) und Bach (Choralsatz).