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Kadenzen ohne Synkopendissonanz

Aus kontrapunktischer Perspektive basiert eine zweistimmige Kadenz auf einer Fortschreitung

  • von einer unvollkommenen Konsonanz zu einer vollkommenen Konsonanz
  • in schrittweiser Gegenbewegung
  • und mit einem Halbtonanschluss in einer der beiden Stimmen.

Die nachstehenden Intervallfolgen Sexte-Oktave (6-8) und Terz-Einklang (3-1) lassen sich in diesem Sinne als zweistimmige Kadenzen auffassen:

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Unter a) ist die Folge 6-8 einmal mit natürlichem (h-c) und einmal mit chromatisch erzeugtem Halbtonanschluss (cis-d) zu sehen. Gegenüber diesen Kadenzen auf c und d zeigt Beispiel b) eine Kadenz auf e, die durch ein Halbtonanschluss von oben (f-e) charakterisiert ist. Die Beispiele unter c) zeigen zweistimmigen Kadenzen auf d und e mit vertauschten Stimmen, wodurch aus der Sexte eine Terz und aus der Oktave ein Einklang wird (6-8 -> 3-1). Die Intervallfolge große Terz-Quinte im Beispiel e) entspricht zwar den Anforderungen an eine Kadenz und war früher als Kadenz auch durchaus üblich, geriet aber im Laufe des 16. Jahrhunderts außer Gebrauch. Weitreichende Bedeutung für die Entwicklung der Kadenz hatten daher nur die Fortschreitungen große Sexte-Oktave und kleine Terz-Prime.

Zur Terminologie

In der professionellen Musikausbildung werden im Zusammenhang mit der Kadenz üblicher Weise historische Fachbegriffe verwendet:

  • Tenorklausel heißt in der Kadenz der Sekundschritt zum Schlusston abwärts. Die Tenorklausel wurde in den vorangegangenen Beispielen blau gefärbt.
  • Sopranklausel oder Diskantklausel heißt in der Kadenz der Sekundschritt zum Schlusston aufwärts. Die Sopranklausel wurde in den vorangegangenen Beispielen rot gekennzeichnet. In moderner Terminologie handelt es sich dabei um den Leitton der Kadenz.
  • Als tenorisierende Kadenz oder auch Tenorkadenz (von lat. clausula tenorizans) wird eine Kadenz bezeichnet, in der in der tiefste Stimme die Tenorklausel erklingt.
  • Als diskantisierende Kadenz (von lat. clausula cantizans) werden Kadenzen bezeichnet, in denen die Sopranklausel in der tiefsten Stimme erklingt.
  • Als mi-Kadenz oder auch phrygische Kadenz werden Kadenzen bezeichnet, in denen die Tenorklausel den Schlusston über einen Halbton erreicht. In Anbetracht des im 16. Jahrhundert gebräuchlichen Tonvorrats waren mi-Kadenzen nur auf den Schlusstönen e, a und d üblich.
  • Cadenza semplice nennt Zarlino (1558) Kadenzen ohne Dissonanzen im Note-gegen-Note-Satz,

Gegenüber den Cadenza semplice werden als Cadenze diminuite (oder auch Clausula formalis) Kadenzen mit Synkopendissonanz bezeichnet. Ein Tutorial zur Kadenz mit Synkopendissonanz finden Sie hier.

Notationsdateien der in dem Artikel verwendeten Beispiele