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Formenlehre: Einheit 9 – Wiener Klassik: Formen von Sätzen der Instrumentalmusik

Thema und Variationen, Rondoform, Adagio-Form; interpunktisches Formmodell – PDF


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Thema und Variationen

Gesamter Satz, gegliedert in ein in sich abgeschlossenes Thema (A) und eine Folge von dessen Varianten: A' – A'' – A''' etc.
Variationen erscheinen als Einzelwerk oder als Teil eines Sonatenzyklus (meist als langsamer Mittelsatz, ggf. auch erster Satz oder Finalsatz)
Thema: meist als zwei- oder dreiteilige Liedform gestaltet, basierend auf periodischen und satzartigen Gestalten bzw. deren Kombinationen
Häufige Quellen für Variationsthemen: Volkslieder, bekannte Melodien anderer Komponist*innen, eigene Themen

Variative Prinzipien

Merkmale

(a) Figuralvariation

nur die musikalische Oberfläche wird verändert, Varianten und Ornamentierungen treten hinzu;
häufiges Prinzip: stetige Diminution, rhythmische Beschleunigung im Satzverlauf; Harmonik bleibt stabil

(b) Charaktervariation

größere Eingriffe ins Thema: Änderung von Taktart, Dynamik, Tempo, Harmonik, Tongeschlecht etc.

(c) cantus-firmus-Variation

kontrapunktische Techniken und Imitationsstrukturen auf Grundlage des Themas
(analog zu Chaconne oder Choralvariationen), ggf. erweitert zum Fugato oder zur Schlussfuge, etwa bei Reger

  1. Joseph Haydn

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  2. Joseph Haydn

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  3. Joseph Haydn

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  4. Joseph Haydn

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Joseph Haydn: Streichquartett C-Dur Hob. III:77 (1797), II. Satz: Poco adagio
Quellen: IMSLP | YouTube

Rondoform

Entwicklung aus der Ritornellform bzw. aus dem barocken Rondeau (Rundtanz, häufiger Suitensatz bei französischen Komponist*innen)
– Barocke Ritornellform: Thema (Ritornell) meist als Fortspinnungstypus, erscheint auch in anderen Tonarten; Episoden in ähnlichem Gestus
– Klassische Rondoform: Thema (Refrain) meist periodenförmig, fast immer in der Grundtonart; Couplets kontrastieren zum Thema

›Gerundetheit‹ des musikalischen Zeitverlaufs: stetige Wiederkehr des Themas, leichte Abwandlung der Reprisen möglich
Reihungsform: Wechsel zwischen Refrains (A-Teile) und Couplets (B, C, D); ggf. verknüpft durch modulierende Überleitungen
Typischerweise als heiterer Schlusssatz in Sonatenwerken (Solowerke und Kammermusik) und Solokonzerten, kaum einmal in Symphonien

Typen der Rondoform

Formteile

Merkmale

(a) Kettenrondo

A – B – A – C – [ A – D – ] A

alle Couplets sind verschieden; fünfteilige oder siebenteilige Form

(b) Bogenrondo

A – B – A – C – A – B – A

symmetrische Anlage: Couplet B kehrt wieder; Couplet C: stärkerer Kontrast zu A

(c) Sonatenrondo

A – B – A – C – A – B' – A

tonale Einrichtung von Couplet B': Anpassung an die Grundtonart;
Couplet C: vertritt eine Durchführung

Idealtypischer Bauplan eines Sonatenrondos (bei Hepokoski und Darcy: Type 4 Sonata)

A – Refrain

B – Couplet 1

A – Refrain

C – Couplet 2

A – Refrain

B' – Couplet 1

A – Refrain, evtl. Coda

I / i

V / III

I / i

vi / VI oder iv

I / i

I / i oder I

I / i

  1. WA Mozart

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  6. WA Mozart

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Wolfgang Amadeus Mozart: Klaviersonate B-Dur KV 281 (1774), III. Satz: Rondeau. Allegro
Quellen: IMSLP | YouTube

Adagio-Form

Formvariante

Merkmale

Zweiteilige Adagioform
A – B – A – B' [ – A' ]

auch: Kavatinenform, entspricht einer Sonatensatzform ohne Durchführung; nach Hepokoski / Darcy: Type 1 Sonata
erscheint typischerweise als langsamer Satz einer klassischen Sonate oder Symphonie

A (Hauptsatz) – modulierende Überleitung – B (Seitensatz in einer benachbarten Tonart) –
Reprise A (weitgehend unverändert) – Überleitung – Reprise B (in der Grundtonart) –
evtl. A' als Anhang (coda-artige Wiederkehr von A am Schluss)

Dreiteilige Adagioform
A – B – A

erweiterte dreiteilige Liedform mit verselbständigtem Mittelteil, in Nachfolge der Da-capo-Arie

A (Hauptsatz) – B (Seitensatz bzw. Mittelteil) – Reprise von A (weitgehend unverändert)
A und B können in sich eine zweiteilige (a – b) oder dreiteilige Liedform (a – b – a) einschließen

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Ludwig van Beethoven: Klaviersonate c-Moll op. 10 Nr. 1 (1798), II. Satz: Adagio molto
Quellen: IMSLP | YouTube

Interpunktisches Formmodell

nach Heinrich Christoph Koch: Gliederung eines größeren, in sich geschlossenen Formteils (Hauptperiode) analog zur sprachlichen Interpunktion
Musikalische Sinneinheiten sind durch öffnende oder schließende Kadenzen (Endigungsformeln) voneinander getrennt

  • Hörbeispiel – Joseph Haydn: Klaviersonate C-Dur Hob. XVI:50 (1791), I. Satz: Allegro, Exposition

Kadenztypologie nach Koch (Ruhepuncte des Geistes)
Quintabsatz = Kadenz zur Dominante, etwa tenorisierender Halbschluss [Komma] oder plagaler Halbschluss [Semikolon]
Grundabsatz = Kadenz zur Tonika, etwa imperfekter bzw. plagaler Ganzschluss [Kolon] oder authentischer Ganzschluss [Punkt]
Schlußsatz = Endkadenz eines Formteils oder Satzes als förmliche Cadenz

Typische Dramaturgie eines ersten Formteils

[ : ]

[ ; ] oder [ , ]

[ ; ] oder [ , ]

[ . ]

mit Modulation zur Oberquint- oder Paralleltonart

Grundabsatz (I / i)

Quintabsatz (I / i)

Quintabsatz (V / III)

Schlußsatz (V / III)


Aufgaben zur Einheit 9
  1. Machen Sie sich mit den Merkmalen der Variationenform und Rondoform (auch in Abgrenzung zur barocken Ritornellform) vertraut.
    Hören Sie die Musikbeispiele.
  2. Untersuchen Sie den II. Satz aus dem Streichquartett C-Dur Hob. III:77 von Joseph Haydn und bestimmen Sie die variativen Prinzipien.
  3. Untersuchen Sie den III. Satz aus der Klaviersonate B-Dur KV 281 von Wolfgang Amadeus Mozart und erstellen Sie ein Formdiagramm.
  4. Untersuchen Sie den II. Satz aus der Klaviersonate c-Moll op. 10 Nr. 1 von Ludwig van Beethoven als Adagio-Form.