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Der Satz (Formenlehre)

Ein in der Regel 4, 8 oder auch 16 Takte langer musikalischer Abschnitt heißt Satz, wenn man ihn als eine Einheit auffasst, die aus zwei Teilen besteht. Auch beim Satz wird der erste Teil als Vordersatz, der zweite Teil als Nachsatz bezeichnet. Während der Vordersatz wieder aus zwei Phrasen zusammengesetzt ist, bildet der Nachsatz des Satzes eine ungeteilte Entwicklung, die Motive des Vodersatzes aufgreift und durch Verkürzung dramaturgisch den Schluss herbeiführt. In vielen Lehrbüchern wird zur Veranschaulichung des Satzes das Thema des Kopfsatzes der Sonate Op. 2, Nr. 1 in f-Moll von Ludwig van Beethoven gewählt. Die folgende Abbildung stammt aus der bekannten Formenlehre von Clemens Kühn

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Die erste Phrase besteht nach Clemens Kühn aus zwei Motiven (a und b), in der zweiten Phrase werden diese Motive variiert wiederholt (a' und b'). Takt 5−8 bilden den ungeteilten Nachsatz, an dessen Beginn das Motiv b des ersten Taktes aufgegriffen wird. Der Nachsatz drängt jetzt durch Verkürzung (er enthält anfangs nur die Motive b und b') zum Schluss in T. 8, der nach einer Verdichtung des Dreiklangsmotivs zum Arpeggio rhythmisch entschleunigt wird. Die besondere rhythmische Gestaltung der Kadenz bezeichnet Arnold Schönberg im allgemeinen als Kadenzkontur, die vier Achtel und den Vorhalt im Thema der f-Moll-Sonate auch als melodische Reste und die gesamte Dynamik des Nachsatzes als Liquidierung:

»Zweck der Liquidierung ist es, der Tendenz nach unbegrenzter Ausdehnung entgegenzuwirken. Sie besteht darin, nach und nach charakteristische Eigenschaften des Motivs zu entfernen, bis nurmehr uncharakteristische übrig bleiben, die keine Fortsetzung mehr verlangen. Oft bleiben nur Reste übrig, die nur mehr wenig mit dem Grundmotiv gemein haben. In Verbindung mit einem Satz kann dieses Verfahren dazu benützt werden, eine angemessene Abgrenzung für den Satz herzustellen.«

Arnold Schönberg, Fundamentals of Musical Composition [1937–1948], London 1967,
dt. Ausg. als Grundlagen der musikalischen Komposition, Wien 1979, S. 31.

Ein Vergleich deutscher und nordamerikanischer Lehrwerke bereitet auf dieser Ebene kaum Probleme, wie die folgende Analyse des Themas der f-Moll-Sonate aus der Publikation Classical Form von William E. Caplin zeigt:

Bis in die Details hinein steht William E. Caplins Analyse in der Tradition des Analysierens nach A. Schönberg. Die folgende Tabelle zeigt eine Gegenüberstellung deutscher und amerikanischer Terminologie zur Beschreibung eines Satzes:

Das folgende Diagramm zeigt zusammenfassend das Modell und die Terminologie des Satzes in einem Diagramm:

Definitionen zum Satz:

»Dieses Übungsmodell wird in einfacheren Fällen aus acht Takten bestehen, von denen die ersten vier eine Phrase und deren Wiederholung enthalten. Das Verfahren, welches für die Fortsetzung anzuwenden ist, besteht aus einer Art von Entwicklung, die in mancher Hinsicht der Kondensierungstechnik in der Liquidierung vergleichbar ist. Entwicklung bedeutet nicht nur Wachstum, Vermehrung, Erweiterung und Ausdehnung, sondern schließt auch Verminderung, Kodensierung und Intensivierung ein.«

Arnold Schönberg, Grundlagen der musikalischen Komposition (1967), dt. Ausg. Wien 1979, S. 31.

»Zum Wesen der Periode gehört es, daß die Takte 3 und 4 nicht einfach wiederholen, was in den Takten 1/2 bereits gesagt war. [...] Eine Wiederholung oder Entsprechung schon im Vordersatz provoziert einen anderen Verlauf. Neues wird damit zunächst verweigert. Um so mehr richtet sich [...] die Erwartung auf das Folgende. [...] Die Fortführung des Nachsatzes kann unterschiedlich streng ausfallen, locker weiterführend wie eben oder in zielstrebiger Entwicklung − so am Beginn von Beethovens Klaviersonate f-Moll op. 2,1, einem Wunderwerk an Formgebung«.

Clemens Kühn, Formenlehre der Musik, Kassel 1987, S. 59 f.