(no ratings)

Die Periode (Formenlehre)

Ein in der Regel 4, 8 oder 16 Takte langer musikalischer Abschnitt heißt Periode, wenn man ihn als eine Einheit auffasst, die aus zwei Teilen besteht, die sich wiederum jeweils aus zwei Phrasen zusammensetzen. Der erste Teil mit öffnendem Charakter heißt Vordersatz, der zweite Teil mit schließendem Charakter wird als Nachsatz bezeichnet. Die Begriffe ›öffnend – schließend‹ beschreiben bildhaft, wie sich die beiden – in der Regel symmetrischen – Teile zu einander verhalten, wobei die öffnende oder schließende Wirkung in der Musik auf unterschiedliche Art und Weise erzeugt werden kann. Die folgende Abbildung veranschaulicht das Modell:

Das folgende Notenbeispiel zeigt den ersten Abschnitt (T. 1–8) eines im Jahr 1724 von Jean Philipp Rameau veröffentlichten Menuetts, der sich angemessen als eine Periode verstehen lässt:

--:-- / --:--

Wenn man den strukturellen Verlauf der Melodie dieses Menuetts betrachtet, fällt auf, dass sich die Noten auf den jeweiligen Takteinsen zu einer stufenweisen abwärts schreitenden Bewegung verbinden lassen. Im Vordersatz verläuft diese Bewegung vom 5. Ton der Tonart (g in C-Dur) bis zum 2. Ton (d in C-Dur), im Nachsatz vom 5. Ton bis zum 1. Ton der Tonart (g−c in C-Dur). In dem folgenden Diagramm wurden diese Strukturtöne durch halbe Noten gekennzeichnet, die übrigen Noten sind schwarz und ohne Hals. Im dazugehörigen Klangbeispiel wird diese Struktur durch ein Oboensample hervorgehoben:

--:-- / --:--

In dem Menuett erzielt Rameau die öffnende Wirkung des Vordersatzes durch einen Halbschluss, das heißt durch eine auf metrisch schwerer Zeit erklingenden Dominante (G-Dur) in Quintlage. Erwartet man den Quintzug 5−1 als Oberstimmenstruktur einer Periode, dann kann man das Stoppen der Bewegung auf dem 2. Ton, den Rücksprung zum 5. Ton und das anschließende Erreichen des Grundtons als Unterbrechung auffassen. In Anlehnung Heinrich Schenker werden Perioden mit einer solchen oder vergleichbaren Oberstimmenstruktur auch Unterbrechungsform oder Unterbrechungsperioden genannt. Das nachstehende Diagramm veranschaulicht diesen Sachverhalt:

Ein in Formenlehren sehr beliebtes Beispiel für eine Unterbrechungsperiode ist der Anfang der Sonate in A-Dur KV 331 (300i) von W. A. Mozart

--:-- / --:--

Quelle: YouTube

Bei der Analyse einer strukturellen Oberstimme sollten Sie nicht davon ausgehen, dass es nur eine einzige Möglichkeit und damit nur eine ›richtige‹ Lösung gäbe. Von dem Thema des ersten Satzes der Sonate in A-Dur KV 331 beispielsweise gibt es eine Analyse von Heinrich Schenker sowie eine Analyse von Steven E. Gilbert und Allan Forte (zwei bekannte Persönlichkeiten nordamerikanischer Musiktheorie und ausgewiesenen Kenner der Lehre Heinrich Schenkers). Doch die Analysen des kleinen Achttakters von Schenker und Gilbert/Forte sind verschieden:

Aus: Allen Forte und Steven E. Gilbert, Indtroduction to Schenkerian Analysis, New York 1982, S. 134.

Aus: Heinrich Schenker, Der freie Satz (= Neue musikalische Theorien und Phantasien III), Wien 1935, Fig. 157 (S. 119).

Die öffnende Wirkung am Ende des Vordersatzes einer Periode kann aber nicht nur über einen Halbschluss erreicht werden:

--:-- / --:--

Quelle: YouTube

Der Kopfsatz der Sonate in B-Dur KV 281 (189f) beginnt zwar mit einer Periode (T. 1−4 = öffnender Vordersatz und T. 5−8 = schließender Nachsatz), die Oberstimmenstruktur dieser Periode lässt sich jedoch nicht als Unterbrechungsform und auch das Ende des Vordersatzes nicht als dominantischer Halbschluss verstehen.

--:-- / --:--

Die Oberstimmenstruktur lässt sich in diesem Fall besser als (ungeteilter) Quintzug beschreiben, wobei die öffnende Wirkung von einem unvollkommenen Ganzschluss erzeugt wird (das heißt, von einer Tonika mit ›öffnender‹ Terzlage auf metrisch leichter Zeit).

Definitionen zur Periode

»Seit dem frühen 19. Jh. (A. B. Marx) gilt außer der Gliederung durch Halb- und Ganzschlüsse auch die Symmetrie der Melodieteile, die Korrespondenz zwischen Vorder- und Nachsatz, die in der Regel je vier Takte umfassen, als definierendes Merkmal der P.; zwei Takte bilden eine Phrase, zwei Phrasen einen Halbsatz, zwei Halbsätze eine P[eriode]«.

Brockhaus-Riemann Musiklexikon (= BRM), Bd. 3, S. 289.

»Eine Periode umfasst modellhaft acht Takte. (Erweiterung zu 16 Takten ist häufig.) Sie vereint zwei viertaktige Halbsätze: einen Vordersatz und einen Nachsatz. Die Halbsätze wiederum bestehen aus 2+2 Takten […] grundlegend und wesenhaft für die Periode ist das Öffnen (Vordersatz) und Schließen (Nachsatz).«

Clemens Kühn, Formenlehre der Musik, Kassel 1987, S. 55 f.

»Der Vordersatz der Periode bildet eine aus zwei Phrasen (α, β) bestehende Gruppe; als Nachsatz wird dieselbe vollständig wiederholt, u.[nd] zw.[ar] entweder ganz unverändert oder mit modifiziertem zweiten Teil (β); α keht auf jeden Fall wörtlich wieder. Das Divergieren der beiden β resultiert aus Kadenzverschiedenheiten: relativ selten kadenzieren Vorder- und Nachsatz gleich [...]«.

Wilhelm Fischer, "Zur Entwicklungsgeschichte des Wiener klassischen Stils",
in: Studien zur Musikwissenschaft 3. H. (1915), S. 26.