Pop- und Rockmusik
Einen wissenschaftlichen Aufsatz zum Thema können sie hier herunterladen.
Unterrichtseinheiten zur Verse-Bridge-Form und zur Verse-Chorus-Bridge-Form finden Sie im Schulbereich.
Die Bridge
Für ein tieferes Verständnis des Bridge-Formteils ist es notwendig, die Form von populärer Musik aus Nordamerika vor dem Zweiten Weltkrieg in den Blick zu nehmen. Tin-Pan-Alley (engl.: Blech-/Zinnpfannengasse) wurde damals scherzhaft die 28. Straße zwischen Fifth Avenue und Broadway bezeichnet, in der das Herz der amerikanischen Unterhaltungsmusik schlug. Die hier ansässigen Songschreiber schufen zahlreiche Kompositionen (sogenannte ›Sheet-Music‹), die aus einem kurzen ›Verse‹ und einen gewichtigeren ›Refrain‹ bestanden. Um Verwechslungen mit den Begriffen der Pop- und Rockmusik zu vermeiden, wird hier der Vorschlag von John Covach übernommen, diese Abschnitte als Sectional-Verse (= SV) und Sectional-Refrain (= SR) zu bezeichnen. Ein Sectional-Refrain wies einen standardisierten Formverlauf auf: Er begann üblicher Weise mit der Struktur AABA, ABAA oder ABAC, die anschließend ganz oder auch nur teilweise wiederholt werden konnte:
- SV-SR (= AABA)
- SV-SR (= ABAA)
- SV-SR (= ABAC)
Diese AABA-Struktur des Sectional-Refrains wird dabei von Walter Everett auch als Sonderform des SRDC-Schemas bezeichnet:
- Statement‹ of a melodic idea
- Restatement‹ at the same or contrasting pitch level
- Departure‹ that Introduces contrasting motivic material
- Conclusion‹ that may or may not recapitulate the opening phrase
Eine eigenständiges Tutorial zu den Vorzügen und Problemen im Umgang mit diesem Formmodell finden Sie hier. I've Got The World On A String wurde 1932 von Harold Arlen für den berühmten Cotton Club in Harlem/New York geschrieben. Der Song besteht aus einem Sectional-Verse (»Mery month of May...«) und einem Sectional-Refrain mit der Struktur AABA:
- A (bzw. Statement of a melodic idea) = »I've got the world...«
- A (bzw. Restatement at the same pitch level) = »I've got a song...«
- B (bzw. Departure that Introduces contrasting motivic material) = »Life is a beautyful thing...«
- A (bzw. Conclusion that may or may not recapitulate the opening phrase) = »I've got the world...«
Die folgende Abbildung zeigt die Form des Songs einer Aufnahme durch January Jones. Schön zu sehen ist hier, dass nach dem Sectional-Refrain mit der AABA-Struktur sowohl der B- als auch der A-Teil noch einmal wiederholt werden:
Wie viele und welche Formteile im Sectional-Refrain eines Tin-Pan-Alley-Songs nach Ablauf des Schemas (AABA, ABAA oder ABAC) wiederholt wurden, war variabel und konnte sich von Aufnahme zu Aufnahme unterscheiden. In einer Aufnahme durch John Bennett beispielsweise wird der B-Teil nicht, der A-Teil dagegen noch dreimal wiederholt, wobei eine A-Abschnitt nach der ersten Bridge üblicher Weise instrumental erklingt:
Quelle: YouTube
Der Einfluss des AABA-Formverlaufs auf einige Pop- und Rock-Bands der 1960er Jahre war sehr groß. Zwar schwand der Einfluss der Broadway-Songschreiber des Brill Building durch Interpreten-Songschreiber wie Lennon/McCartney, die etablierten Songformen prägten jedoch auch das Werk zahlreicher Autoren späterer Zeit. Typisch für den Brill-Building-Pop war nach dem AABA-Schema die Wiederholung des B-Kontrastteils sowie ein bis zwei weitere Wiederholungen des A-Teils (z.B. AABABA). In der Beatmusik wird dabei der A-Teil als ›Verse‹ und der B-Teil als ›Bridge‹ bezeichnet. Chains, eine auf dem ersten Album Please Please Me (1963) der Fab Four veröffentlichten Coverversionen der Brill-Building-Autoren Gerry Goffin and Carole King, zeigt diesen typischen, broadway-beeinflussten formalen Ablauf:
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Bis auf den zweiten Verse beginnen alle Verse-Abschnitte mit der Refrainzeile »Chains (my baby's got me locked up in chain)«, in der letzten Zeile wird das »Chains« darüber hinaus wiederholt. Ebenfalls auf diesem Album befindet sich der Titel Do You Want To Know A Secret, dessen Verlauf noch stärker an ursprüngliche Broadway-Formgestaltungen erinnert: Einer vokalen Intro (= Sectional-Verse) folgt eine AABA-Form ohne Wiederholungen (= Sectional-Refrain), wobei die Abschnitte des AABA-Verlaufs in der Beatmusik üblicher Weise als Verse und Bridge bezeichnet werden:
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Ken Stephenson hat durch eine Graphik veranschaulicht, auf welche Weise sich die für Rockmusik und Mainstream-Pop typische Verse-Chorus-Bridge-Form aus der AABA-Songform entwickelt haben könnte:

Der Chorus könnte sich aus der Refrainzeile entwickelt haben, wenn diese am Ende und nicht − wie in den Beispielen zuvor − am Anfang des Verse erklingt. Auch hierfür findet sich ein schönes Beispiel im Repertoire der frühen Beatles: Till There Was You ist eine Coverversion des gleichnamigen Titels aus dem Musical Music Man von Meredith Willson.
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Während sich bei den Beatles nach der AABA-Form die Folge ABA anschließt, werden in den Film-Versionen lediglich die Bridge (instrumental) sowie ein Verse wiederholt:
Till There Was You (aus: The Music Man, Interpretin: Shirley Jones), Musik und Text: Meredith Wilson, Quelle: YouTube
Till There Was You (aus: The Music Man, Interpreten: Matthew Broderick und Kristin Chenoweth), Musik und Text: Meredith Wilson, Quelle: YouTube.
Erklingt die Refrainzeile am Ende der Verse-Gestaltungen einer AABA-Form, kann diese beispielsweise dadurch musikalisch an Gewicht gewinnen, dass sie − wie beispielsweise in dem Song Ticket To Ride (1965) der Beatles − wiederholt wird:
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Erfährt nun eine solche Wiederholung der Refrainzeile eine eigenständige musikalische Gestaltung, so wird sie nicht mehr als unselbständiger Bestandteil des Verse angesehen, sondern bildet einen eigenen musikalischen Attraktionspunkt, der üblicher Weise als Chorus bezeichnet wird. Hierfür ist der Beatles-Song Please Please Me (1963) ein anschauliches Beispiel:
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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Formteil ›Bridge‹ vorwiegend in zwei konkurrierenden Formmodellen vorkommt:
- In der Verse-Bridge-Form: Auffälliges Merkmal dieser Form ist, dass der Formteil Bridge zweimal vorkommt. Er erscheint üblicher Weise erstmalig nach dem zweiten Verse und wird nach einem weiteren Verse wiederholt (AABABA).
- In der Verse-Chorus-Bridge-Form: In diesem Formmodell erscheint die Bridge charakteristischer Weise nur einmal und zwar häufig nach zwei Verse-Chorus-Paaren.
Definition Bridge: In der Verse-Bridge- und der Chorus-Bridge-Form ist die Bridge ein Formteil, der kontrastierend, aber nicht steigernd wirkt. Die fehlende Steigerungsfunktion gegenüber dem Verse unterscheidet die Bridge von einem Chorus. In der Verse-Bridge-Form kommt die Bridge in der Regel zweimal vor, ein Chorus hingegen fehlt. [...] Die Bridge findet sich üblicherweise erstmalig zwischen zweitem und drittem Verse [...] (AABA), ihr zweites Auftreten resultiert aus einer vollständigen oder partiellen Wiederholung des AABA-Schemas. Der Text in der ersten und zweiten Bridge kann gleich (wie zum Beispiel in I Want To Hold Your Hand der Beatles) oder verschieden sein (wie beispielsweise in Leningrad von Billy Joel).
In der Verse-Chorus-Bridge-Form wird dagegen als Bridge (bzw. Primary Bridge) ein umfangreicherer Formteil bezeichnet, der üblicherweise einmal vorkommt und zum Vorhergehenden kontrastierend wirkt. Die Bridge erklingt im Rahmen dieses Formmodells in der Regel als Verbindung zwischen zwei Verse-Chorus-Paaren und weiteren Verse- und/oder Chorus-Wiederholungen. Eine Bridge ist mit gesungenem Text und auch instrumental möglich.