Felix Mendelssohn Bartholdy: Sinfonie Nr. 4 A-Dur (»Italienische«)

Mendelssohns vierte Sinfonie wurde 1833 veröffentlicht und dürfte unter dem Beinamen Italienische heute zu den beliebtesten Orchesterwerken des Komponisten gehören. Angeregt durch eine Italienreise werden mit dieser Sinfonie die lebendige Atmosphäre und Schönheit des Landes assoziiert. In einem Brief hatte sich Mendelssohn über seien A-Dur-Sinfonie geäußert, dass es das »lustigste Stück« sei, dass er jemals komponiert hätte. Auch, wenn man heute das Witzige des Werks nicht mehr unmittelbar versteht: Die Tonrepetitionen der Bläser, das hohe Tempo und der dadurch ungebremst Schwung insbesondere des ersten und letzten Satzes dürften viel zum Erfolg der Sinfonie bei beider Uraufführung 1833 unter der Leitung des Komponisten sowie einer sich anschließenden Rezeption beigetragen haben.

Inhalt

1. Satz

1. Satz: Allegro vivace

Hs
Ül
Ss
Sg
Hs
Ül
Ss
Sg
Df
Hs
Ss
Sg
Coda
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Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90 (»Italienische«), 1. Satz: Allegro vivace,
Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch,
Konzertmitschnitt mit Postproduktion der Hochschule für Musik und Theater München 2023, Lizenz: CC BY-SA 4.0.

Der Kopfsatz (Allegro vivace) lässt sich formal über das Modell der Sonatenhauptsatzform verstehen:

  • Einem Hauptsatz (Hs) in A-Dur, der mit einer Kadenz in der Ausgangstonart endet, folgt eine
  • Überleitung (Ül), die mit einer Orchesterwalze beginnt und den Seitensatz über einen Halbschluss der Nebentonart herbeiführt.
  • Im Seitensatz (Ss) in der Nebentonart E-Dur dominieren in verhaltener Dynamik die Holzbläser, wobei der Nachsatz erweitert wird, sich nach Moll eintrübt und das Eintreten der Kadenz deutlich verzögert.
  • Eine kurze Schlussgruppe im forte, die das Anfangsmotiv wieder aufgreift, beendet die Exposition und eine im piano gehaltene Rückleitung führt in die Wiederholung der Exposition.

Der Exposition folgt eine Durchführung (Df), die gleich von Anbeginn auf mehreren Ebenen kontrastierend wirkt: durch die Satztechnik (Polyphonie bzw. ein Fugato-Abschnitt), eine Eintrübung nach Moll (a-Moll, e-Moll), durch die Instrumentation (Streichersatz ohne Bläser) und auch durch die Dynamik (über weite Strecken leise). Ein groß angelegtes Crescendo führt in der Durchführung zu einem dynamischen Höhepunkt, der in sich zusammenfällt und auf diese Weise die Reprise vorbereitet.

In der Reprise modifiziert Mendelssohn das Ende des Hauptsatzes, so dass sich unter Auslassung der Formfunktion Überleitung direkt der Seitensatz anschließen kann. Dem Seitensatz folgt ein Abschnitt, der klangtechnisch an die Durchführung erinnert, gefolgt von einer kurzen Schlussgruppe im Forte. Anschließend fällt die Musik noch einmal in der Dynamik zurück, um Anlauf zu nehmen für einen Abschluss des Sinfoniesatzes im Forte.

2. Satz

2. Satz: Andante con moto

A
A
B
A
B
A
C
C
D
D
A'
A'
D'
D'
C'
C'
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Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90 (»Italienische«), 2. Satz: Andante con moto,
Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch,
Konzertmitschnitt mit Postproduktion der Hochschule für Musik und Theater München 2023, Lizenz: CC BY-SA 4.0.

Nach drei einleitenden Takten erklingt zum Beginn des Satzes eine choralartige Melodie in d-Moll mit einem öffnenden Vordersatz und schließenden Nachsatz bzw. einer periodischen Formung:

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Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90 (»Italienische«), 2. Satz: Andante con moto, Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch, Konzertmitschnitt mit Postproduktion der Hochschule für Musik und Theater München 2023, Lizenz: CC BY-SA 4.0.

Dieses periodische Thema (A) wird anschließend variiert wiederholt. Ihm folgt ein kontrastierender Teil (B) und eine kleine Reprise (A) des Hauptgedankens, wobei auch diese Abschnitte wiederholt werden. Dadurch ergibt sich die folgende Form:

A
A
B
A
B
A

Diese Form wird in Formenlehren als dreiteilige Liedform bezeichnet und typischer Weise wie folgt notiert:

Allerdings wird man im weiteren Verlauf des Satzes getäuscht, würde man aufgrund des formal klar gestalteten Anfangs z.B. eine für zweite bzw. dritte Sätze nicht unübliche zusammengesetzte Liedform erwarten /vgl. hierzu den dritten Satz). Denn Mendelssohn führt zwar noch zwei weitere kontrastierende Abschnitte ein (C, D), gestaltet jedoch die Wiederkehr des Anfangs (Reprise) unter Verwendung des bis dahin erklungenen Materials relativ frei.

3. Satz

3. Satz: Con moto moderato

Mendelssohns formale Disposition des dritten Satzes folgt dem traditionellen Modell eines Menuett–Trio–Menuett-Satzes, das in der Formenlehre als zusammengesetzte Liedform bezeichnet wird:

Der Komponist verzichtet lediglich auf die Wiederholung der jeweils zweiten Teile (B A und D C) und verlängert die Erste Reprise der ABA-Form durch innere und äußere Erweiterungen:

A
A
B
A
C
C
D
C
A
B
A
Coda (C)
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Der A-Teil beginnt mit einem achttaktigen Abschnitt, wobei der lange Auftakt, der verspätete Basseinsatz, der Trugschluss und der öffnende Halbschluss am Ende den Abschnitt als periodischen Vordersatz mit asymmetrischer Binnengliederung ausweisen:

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Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90 (»Italienische«), 3. Satz: Con moto moderato, Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch, Konzertmitschnitt mit Postproduktion der Hochschule für Musik und Theater München 2023, Lizenz: CC BY-SA 4.0.

Der Nachsatz beginnt mit einem Zweitakter, der wiederholt wird und dem eine viertaktige Entwicklung folgt (satzartige Struktur). Nach der Kadenzen bzw. förmlichen Ausweichung nach E-Dur (V. Stufe ) folgen noch weitere vier Takte, mit denen die Periode auf 20 Takte äußerlich erweitert wird.

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Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90 (»Italienische«), 3. Satz: Con moto moderato, Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch, Konzertmitschnitt mit Postproduktion der Hochschule für Musik und Theater München 2023, Lizenz: CC BY-SA 4.0.

Der B-Teil wirkt durch seine Wendung nach Moll kontrastierend, wobei Mendelssohn die Reprise bzw. Wiederkehr des A-Teils auf eine besondere Weise inszeniert: Im Wechsel zwischen fis-Moll und Cis-Dur gestaltet Mendelssohn die 2. Violine mit dem Motiv des Anfangs, wobei er in der vierten Wiederholung die erste Violine im Kanon führt und damit auf eine im ersten Moment unscheinbare Weise die Reprise herbeiführt:

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Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90 (»Italienische«), 3. Satz: Con moto moderato, Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch, Konzertmitschnitt mit Postproduktion der Hochschule für Musik und Theater München 2023, Lizenz: CC BY-SA 4.0.

In den A-Teilen nach den B-Abschnitten (Reprisen) greift Mendelssohn vom Umfang her die 16-taktigen Perioden des Anfangs wieder auf. Die vier Takte äußere Erweiterung nach dem kadenziellen Abschluss der Perioden werden für eine ausgedehnte Schlusswirkung auf 19 Takte verlängert.

4. Satz

4. Satz: Saltarello presto

Der Saltarello (kleiner Hüpfer von ital. saltare = hüpfen) war ein sehr lebhafter Tanz im 6/8-Takt, für den die Hüpfsprünge sehr charakteristisch waren. Bereits im 15. Jh. kam der Saltarello als Tanz außer Mode, hielt sich aber in Suiten und Konzertstücken. Mendelssohn könnte diesen schnellen Tanz beim Karneval 1831 in Rom auf seiner Italienreise kennengelernt haben. Jedenfalls komponierte er einen Schlusssatz für seine Italienische Sinfonie, den er nicht nur mit Saltarello überschrieb, sondern deren furiosen und virtuosen Charakter er zusätzlich mit presto (im schnellen bis sehr schnellen Tempo) angab.

Formal lässt sich der Satz auf den ersten Blick gut über das in Tanzsätzen gebräuchliche Modell der Suitensatzform (bzw. forma bipartita) verstehen. Nach diesem Modell in Moll gibt es im ersten Teil eine Bewegung von einer i. Stufe (a-Moll) über eine III. Stufe (C-Dur) zu einer v. Stufe (e-Moll und in einem zweiten Teil von der v. Stufe wieder eine Bewegung zurück in die i. Stufe. Die tonartliche Reprise kann dabei mit einer motivisch-thematischen Reprise einhergehen, sie muss es jedoch nicht:

Genau dieser harmonische Verlauf charakterisiert den Saltarello-Schlusssatz der Italienischen (Sinfonie) von Mendelssohn:

a-Moll (a)
a - C (H)
e-Moll (e)
a - d - e/E - a | A - D - G - C - F- H - E
a-Moll
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Gleichzeitig erinnert das dominantische H-Dur als Halbschluss vor dem Eintritt der v. Stufe (e-Moll) sowie der Charakter des nachfolgenden e-Moll (piano und dominierende Holzbläser) an Seitensatzgestaltungen in Sinfoniesätzen. Während Kadenz- und Quintfallsequenzharmonik für Mittelteile generell nicht untypisch ist, lässt die lang anhaltende Rückführungsdominante und fehlende motivisch-thematische Reprise formale an barocke Tanzsätze denken, wobei gleichzeitig die motivischen Anlehnungen an den e-Moll-Abschnitt auch an binäre Sonatensatzgestaltungen erinnert (mit einer Reprise in den Seitensatzbereich). Doch während sich die formale Gestaltung irgendwo zwischen Suitensatz- und Sonatensatzform bewegt, ist der Charakter eindeutig: Mendelssohn beendet seine Sinfonie mit einem höchst effektvollen und virtuosen Kehraus, der in Verbindung mit dem schwungvollen Kopfsatz viel zur Popularität und Beliebtheit der Italienischen Sinfonie beigetragen haben dürfte.

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Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie Nr. 4 A-Dur op. 90 (»Italienische«) Hochschulsymphonieorchester (München), Ltg. Marcus Bosch Konzertmitschnitt mit Postproduktion der Hochschule für Musik und Theater München 2023
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1. Allegro vivace

2. Andante con moto

3. Con moto moderato

4. Saltarello. Presto